Von Sommerfrische und stählerner Rhetorik – Ein Filmabend in Eisenerz zum Thema „Nationalsymbol IndustriearbeiterInnen“

Vergangenen Freitag brachte das Herzstück „Nationalsymbol IndustriearbeiterInnen“ der hundertjährigen Filmgeschichte „Eisenerz im Film“ den Alten Tanzsaal zum Bersten. 13 abwechslungsreiche Projektionen sollten in den folgenden zweieinhalb Stunden faszinierende Einblicke in die schweißtreibende Geschichte des Eisenerzer Bergbaus liefern und ganz

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Eisenerz im Film II

Eine hundertjährige Filmgeschichte. Block II: Nationalsymbol IndustriearbeiterInnen
9. August 2013, 19.00 Uhr
Alter Tanzsaal, Eisenerz

Ein mehrwöchiger Bildungs- und Kunstfilmzyklus im August beschäftigt sich mit dem audiovisuellen Erbe der Stadt.

Die Reihe reicht vom ersten österreichischen Industriefilm „Die Gewinnung des Eisens am steirischen Erzberg“ (von 1911) über Wochenschauen und Propagandafilme bis hin zu Kunst- und Spielfilmen der Gegenwart. Unabhängig von den politischen Verhältnissen sind die SchwerstarbeiterInnen am Erzberg nationale Symbole für Leistungsbereitschaft, Fortschritt und den unbesiegbaren Glauben an die Zukunft. Die Brüche in diesen Erzählungen werden ebenso sichtbar wie die Tatsache, dass es nie diese nur positive Entwicklung gegeben hat, wie es die offizielle Erfolgsgeschichte glauben machen will. Das eindrückliche Spannungsverhältnis zwischen Zeiten des Aufschwungs und historischen wie gegenwärtige Krisen machten die Bergstadt Eisenerz zum idealen Ort für die filmische Abhandlung der industriellen Entwicklung.

 

09.08.   Block II:   Nationalsymbol IndustriearbeiterInnen

 

v.l.n.r.: Sturmjahre (1947) / Österreichisches Filmmuseum, Klaubanlage / Stadtmuseum Eisenerz, A Day in an Austrian Iron Mine (1910) Filmarchiv Austria

v.l.n.r.: Sturmjahre (1947) / Österreichisches Filmmuseum, Klaubanlage / Stadtmuseum Eisenerz, A Day in an Austrian Iron Mine (1910) Filmarchiv Austria

 

PROGRAMMÜBERSICHT

A Day in an Austrian Iron Mine
(Die Gewinnung des Eisens am steirischen Erzberg in Eisenerz)

A 1911. Sascha Kolowrat-Krakowsky. 5 Min. s/w. stumm

Auszug aus:
Österreich in Bild und Ton 1: 26A/37
A 1937. 2 Min. s/w. Ton

Auszug aus:
Österreich in Bild und Ton 2: 32B/37
A 1937. 2 Min. s/w. Ton

Metall des Himmels
D 1935. Regie: Walter Ruttmann. 13 Min. s/w. Ton

Zum Eisernen Berg
D/A 1940. Adi Mayer Film/Adler-Film. 13 Min. s/w. Ton

Sturmjahre – Der Leidensweg Österreichs
A 1947. 2. Akt. Regie: Frank Ward Rossak / Herbert Heidmann. 16 Min. s/w. Ton

Ennsfahrt
A 1958. Regie: Kurt Steinwendner. 11 Min. Farbe. Ton

Tagbau auf dem Steirischen Erzberg, Teil 1: Abraum
A 1950. 12 Min. s/w. stumm

Tagbau auf dem Steirischen Erzberg Teil 2: Erzgewinnung
A 1950. 9 Min. s/w. stumm

Schienen – Die Strassen der Wirtschaft
A 1958. Regie: Kurt Steinwendner. 10 Min. Farbe. Ton

Eisenerz: Präbichl-Straße
ORF 1965. Streiflichter aus Österreich. 2 Min. s/w. tlw. Ton

Eröffnung Nordrampe Präbichl
ORF 1974. News-Filmbestand. 3 Min. Farbe. Ton

Auszug aus:
Dampfsymphonie am Erzberg
A 1978. 6 Min. Farbe. Ton

 

Metall des Himmels (1935) / Österreichisches Filmmuseum

Metall des Himmels (1935) / Österreichisches Filmmuseum

Romantisch, Stählern.
Im Anschluss an die Filmpräsentation spricht Georg Wasner anhand von Walter Ruttmanns propagandistischem „Kulturfilm“ METALL DES HIMMELS (1935), dem „Idealtypus“ nationalsozialistischer Werbe- und Warenästhetik, zum Thema „Reaktionäre Moderne“.

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Hundert Jahre Eisenerzer Industrie- und Sozialgeschichte in 13 Kurzfilmen und Filmausschnitten, erläutert von Wolfgang Strizinger.

Die Gründung der Oesterreichisch-Alpine Montangesellschaft 1881 brachte zahlreiche Rationalisierungsmaßnahmen mit sich; bis 1899 wurde das Innerberger und Vordernberger Revier über Sturzschächte verbunden, womit die jahrhundertelange Trennung durch die Ebenhöhe Geschichte war. Ebenso wurden die Grubenbaue bis zur Jahrhundertwende aufgelassen, sodass die einheitliche, durchgehende Etagierung bis 1907 am gesamten Berg vollendet war. 1900 wurde am Innerberger Erzberg an Stelle der Hand- und Pferdeförderung die ersten Dampflokomotive in Betrieb genommen. Das Erzfördersystem mit dem zwischen 1909 – 1911 neuangelegten Erzreservoir wurde umgestaltet, ebenso die Bergeförderung. 1908 wurde im Vordernberger Revier erstmals pneumatisch gebohrt, der erste Dampfbagger wurde zwei Jahre später auf der Etage Martini eingesetzt. Bis 1910 steigerte sich die Erzgewinnung auch aufgrund der besseren Konjunktur von rund 1 Million Tonnen (1900) auf 1,7 Millionen Tonnen im Jahr.

Grund genug für die 1910 in Pfraumberg/Böhmen und 1912 nach Wien verlegte Sascha-Film den modernen Tagbaubetrieb im ersten österreichischen Industriefilm zu dokumentieren.

A Day in An Austrian Iron Mine (Die Gewinnung des Eisens am steirischen Erzberg in Eisenerz) A 1911

A Day in An Austrian Iron Mine (Die Gewinnung des Eisens am steirischen Erzberg in Eisenerz), A 1911, Sascha Film

Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Monarchie sank die Erzförderung nahezu auf den Nullpunkt, erste Investitionen folgten ab 1921, als Hugo Stinnes die Mehrheit der Aktien erwarb. Diese 56% wurden 1926 von der Vereinigten Stahlwerke AG, Düsseldorf, übernommen. Dies war letztlich auch die Voraussetzung für die wirtschaftspolitische Gleichschaltung mit Deutschland vor dem Anschluss. Davor aber wirkte sich die Weltwirtschaftskrise massiv auf die Eisen- und Stahlerzeugung aus: der Erzabbau kam zwischen 1932 und ’33 für einige Monate gänzlich zum Erliegen, beide Hochöfen im Münichtal waren von 1930 bis 1937 außer Betrieb; die Einwohnerzahl von Eisenerz ging von rund 8600 im Jahr 1923 auf 6700 im Jahr 1934 zurück. Allerdings gelangte Göring bereits 1937 zur Ansicht, „daß sich für ein von der Welt abgeschnittenes Deutschland die Versorgungsmöglichkeiten durch Österreich erheblich verbessern ließen“. Für ihn galt der Erzberg als „das einzige Eisenerzvorkommen in Europa, das für Deutschland im Kriegsfalle erreichbar ist“. Der steigende Absatz durch die anrollende deutsche Rüstungsindustrie und die Eingliederung in den 4-Jahresplan ab 1937 sind die Voraussetzung für das Wiederanblasen des ersten Hochofens am 18.Juni 1937 in Gegenwart von Kanzler Schuschnigg, der zweite folgte im Februar 1938.

Österreich in Bild und Ton 1, A 1937 ORF

Österreich in Bild und Ton 1 und 2, A 1937 ORF

Mit der Eingliederung der Oesterreichisch-Alpine Montangesellschaft in die Reichswerke „H. Göring“ und somit in die deutsche Kriegswirtschaft stieg die Eisenerzer Bevölkerung im Vergleich zu benachbarten Orten sprungartig an: 1939 wurden bereits 11.378 EinwohnerInnen gezählt.

Die Verbindung von wirtschaftlichem Aufschwung und kurzfristiger Verbesserung des Alltags der Bevölkerung durchdringt gewollt sämtliche Lebenswirklichkeiten. Die Indoktrination in „Metall des Himmels“, einem Kulturfilm des deutschen Avantgardisten Walter Ruttmann, der auf den ersten Blick gar keine politische Botschaft in sich trägt, ist vielfältig und monströs. Wenn die Bedeutung von Stahl und seine verschiedenen Verwendungsformen im modernen Leben gepriesen wird, denkt kaum jemand etwas Böses; zu Klarheit gelangt man erst, wenn in der Trickaufnahme Schreibfedern wie eine Formation Jagdflugzeuge über Büroklammern fliegen, die wie Schlachtschiffe auf See aussehen.
„Auf Schritt und Tritt im täglichen Leben: Überall Stahl!

Metall des Himmels, D 1935, Regie: Walter Ruttmann

Metall des Himmels, D 1935, Regie: Walter Ruttmann

Der Fortschritt im Deutschen Reich scheint unaufhaltsam, die Synthese von Natur und Technik vollendet. „Schwer fauchen die Maschinen – sie fressen die Kohle. Schwer schaffen die Männer – sie schaufeln das Erz.“ Der populärwissenschaftliche Dokumentarfilm im Nationalsozialismus erzählt und erklärt niemals nur, er hat eine klare Mission. Mit Inbrunst werden Ingenieurskunst und Wissenschaftlichkeit beschworen – und behauptet, der Erzberg sei ein riesiger Eisenmeteorit.

Zum Eisernen Berg, D/A 1940, Adi Mayer Film/Adler-Film

Zum Eisernen Berg, D/A 1940, Adi Mayer Film/Adler-Film

Das Beschwören bleibt dem heimischen Film auch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs erhalten. Nun ist es die Stunde Null der wiedergeborenen Österreichischen Nation. Nahezu alle politischen Couleurs bedienen sich durchgängig des Opfermythos; die medialisierte deutsche Alleinschuld war in den ersten Jahren der 2. Republik die perfekte Voraussetzung für den nationalen Schulterschluss. Sowohl der überzeugte Sozialist Frank Ward Rossak, als auch Kurt Steinwendner, der neben Avantgardefilmen auch kommerzielle Informations- und Werbefilme drehte, sind der Österreich-Werdung verpflichtet. Entnazifizierung hingegen war keine Notwendigkeit für das neue Österreich-Bewusstsein, sondern lediglich eine Notwendigkeit für die Wiedererlangung der Souveränität, wie dies Robert Menasse 1990 formulierte.

„Es ist eine teuflische Methode, die Not eines Volkes zu propagandistischen Zwecken auszunutzen. Wer anderer wäre zur Verwendung dieser Mittel mehr geeignet? Zuerst beginnt es verhältnismäßig harmlos. Man weiß, dass das österreichische Volk politisch arg zerrissen ist. Man weiß ganz genau in Deutschland draußen, dass das autoritäre Österreich aus vielen Gründen keinen Schutzwall gegen den Nationalsozialismus bilden kann…“ [Sprechertext aus Sturmjahre]

Sturmjahre – Der Leidensweg Österreichs, A 1947, Regie: Frank Ward Rossak / Herbert Heidmann

Sturmjahre – Der Leidensweg Österreichs, A 1947, Regie: Frank Ward Rossak / Herbert Heidmann

Frank Ward Rossak begann bereits 1937 mit seinem Dokumentarfilm über die Zustände der Zeit, konnte diesen jedoch nicht vollenden, da er als Sozialist nach dem Anschluss Arbeitsverbot erhielt. Nach dem Krieg entschloss er sich, das Schicksal der (v.a. Wiener) Bevölkerung der vergangenen zehn Jahre nachzuzeichnen. Dabei wird kein Mythos der wiedererstandenen 2. Republik ausgelassen, nicht zuletzt das Konstrukt des umfassenden österreichischen Widerstands im Untergrund. Wenn Rossak die Leiden der breiten Masse in der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre als Voraussetzung für die Hinwendung zum Nationalsozialismus anführt, kontrastiert er zwar Steinwendners gekonnt inszenierte Auftrags-Dirndlromantik, das dargestellte Österreich-Selbstverständnis ist dennoch dasselbe. Übrig bleibt ein Austrian-Way-of-Life, der in seiner sympathischen Harmlosigkeit gar nicht zum totalen – weil deutschen – Verbrechen fähig ist.

Ennsfahrt, A 1958, Regie: Kurt Steinwendner

Ennsfahrt, A 1958, Regie: Kurt Steinwendner

Der Erzlieferungen für die mittlerweile verstaatlichten Hüttenwerke Linz und Donawitz liefen im März 1947 wieder an. Mit ERP-Hilfe wurden ab 1948 Produktionsmittel wie Elektrobagger und Elektroförderloks finanziert, die Josefi-Klaubanlage konnte ihren Betrieb aufnehmen; 1950 bewegte sich die Jahres-Erzerzeugung immerhin bereits um 1,5 Mio. Tonnen, die Belegschaft umfasste knapp 4000 Personen. Der Erzberg stand am Beginn einer rund zwei Jahrzehnte andauernden Blüte.

Tagbau auf dem Steirischen Erzberg, Teil 1 und 2, A 1950

Tagbau auf dem Steirischen Erzberg, Teil 1 und 2, A 1950

Wie perfekt Kurt Steinwendner sein Handwerk beherrschte, ist in „Schienen – Die Straßen der Wirtschaft“ ersichtlich, wenngleich der Übergang zwischen Industrie- und Propagandafilm kaum auszumachen ist. Wenn es heißt, dass „in der Kabelfabrik der Gefährte der Schiene, der Oberleitungsdraht hergestellt [wird]“, dann erinnert dies frappant an eine Zahnpasta-Werbung von 1940: „Vollkornbrot – der Bundesgenosse der Zahnbürste“. Aus heutiger Sicht mögen diese Anthropologisierungen aufgesetzt und absolut lächerlich erscheinen, damals entsprachen sie einem gewohnten Sprachduktus, der für Einigkeit und nationalen Fortschritt stand. Ohne hieraus Steinwendner einen Vorwurf zu konstruieren, zeigen derartige kulturelle Charakteristika doch formale Kontinuität im kommerziellen Industriefilm auf.

Schienen – Die Strassen der Wirtschaft, A 1958, Regie: Kurt Steinwendner

Schienen – Die Strassen der Wirtschaft, A 1958, Regie: Kurt Steinwendner

Die finanziellen Schwierigkeiten der Alpine, die folgende Fusion mit den Linzern zur VÖEST-Alpine AG, die beginnende Energiekrise, all dies konnte den Fortschrittsglauben nur wenig bremsen. Endlich eine leistungsfähige Straßenanbindung an die Bezirkshauptstadt! Und welch Hoffnungen damit verbunden waren! Langsam wurde der Wandel unübersehbar, die Veränderungen Stück für Stück erkennbar. Im Nachhinein muten diese Sequenzen mehr als Western denn als Bilddokumente aus den steirischen Bergen an.

Eisenerz: Präbichl-Straße, ORF 1965 / Eröffnung Nordrampe Präbichl, ORF 1974 / Dampfsymphonie am Erzberg, A 1978

Eisenerz: Präbichl-Straße, ORF 1965 / Eröffnung Nordrampe Präbichl, ORF 1974 / Dampfsymphonie am Erzberg, A 1978

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CREDITS:

Kuratierung: Wolfgang Stritzinger
Recherche: Gerhild Illmaier, Karin Talaber
Wissenschaftliche Begleitung: Werner Michael Schwarz, Georg Wasner
Produktion: GIL art.infection

Durchgeführt mit Unterstützung der VA Erzberg GmbH, in Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum, dem Filmarchiv Austria, dem ORF und Adi Mayer Film.

Durchgeführt in Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum, dem Filmarchiv Austria, dem ORF und Adi Mayer Film, mit freundlicher Unterstützung von Land Steiermark, Stadtgemeinde Eisenerz, bmukk und VA Erzberg GmbH.

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In Ergänzung zu dieser Filmreihe wird – in Kooperation mit ROSTFEST am 22. und 23.08. jeweils um 19.30 Uhr der brandneue Film Die Werkstürmer präsentiert, der 2012 mit Michael Ostrowski in einer der Hauptrollen in Eisenerz und Umgebung gedreht wurde.

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Eine Veranstaltung von GIL art.infection in Kooperation mit der
Stadtgemeinde Eisenerz.

Grafik Design: Nicole Zaiser • Technik: Showstage Eventtechnik • Saalbetreuung: Prima Dienstleistungs-GesmbH • Bildregie: Erich Niederhofer, Erich Hubinger